E-Mail für dich (2)
Wir kennen (und lieben) uns seit Jahren. Wir ticken ähnlich und doch wieder nicht. Jede von uns weiß, was die andere gerade umtreibt und oft begleiten uns unsere wechselseitigen Morgenmails durch den nächsten Tag. Alice Gabathuler ist so viel mehr für mich als nur eine liebe Kollegin. Und es war ihre Idee, Euch einen Blick in unsere Mails werfen zu lassen .
Meine erste Mail findet Ihr HIER. Und Alices Antwort könnt Ihr HIER nachlesen. So ganz konnte ich mich ihrer Meinung nicht anschließen ...
Meine erste Mail findet Ihr HIER. Und Alices Antwort könnt Ihr HIER nachlesen. So ganz konnte ich mich ihrer Meinung nicht anschließen ...
Liebe Alice,
danke für
Deine ausführliche Antwort. Du hast schon recht, leider hält das Leben oft ganz
viele verschiedene Wände für uns bereit. Ich habe jetzt den ganzen Tag über die
Wände in meinem Leben nachgedacht und nein, so wie Du mir das vorgeschlagen
hast, kann ich das nicht angehen. Ein paar Leitersprossen hier, Schild
hinhängen, ein paar Leitersprossen da, Schild hinhängen… aber ich weiß jetzt
auch, warum das so für mich nicht funktioniert.
Diese Wände
stehen ganz unterschiedlichen Zielen im Weg. Es geht nicht darum, dass ich
nicht mehrere Dinge gleichzeitig anpacken will. Ich habe dir ja mal erzählt,
dass ich vor einer gefühlten halben Ewigkeit sogar ziemlich erfolgreich
Triathlon betrieben habe. Damals habe ich drei Sportarten trainiert, Training
war täglich und trainiert wurden jeweils immer zwei Sportarten. Da ging das mit
dem Abwechseln ganz wunderbar. Mal ein paar Kilometer laufen, mal etliche
Bahnen schwimmen, mal Rad fahren, dann wieder laufen. Einige verdammt hohe
Wände, aber das Ziel dahinter war immer das gleiche: der Wettkampf.
Jetzt ist es
aber so, dass mein Ziel der berufliche Erfolg ist bzw. die nackte Tatsache,
dass ich mich und meine Kinder von meinem Beruf ernähren können will. Dass wir ganz nebenbei auch einen
verwilderten Garten irgendwie auf Vordermann bringen müssen oder die Fenster
dringend geputzt werden müssten, das
sind Baustellen bzw. Wände – um bei unserem Bild zu bleiben – die zwar im Weg
stehen, aber über die ich nicht drüber muss, wenn ich mit dem Schreiben Geld
verdienen will. Das sind Wände, um die ich auch getrost herumgehen kann, denn
sie stehen an einem anderen Weg zu einem anderen Gipfel.
Trotzdem
gebe ich Dir in einem anderen Punkt recht. Auch zu meinem Gipfel führen ja ganz
viele Wege. Das sind die Bücher, die ich schreibe, die Lesungen, die ich mache,
die Schreibwerkstätten, die ich veranstalte. Mal sind es Jugendromane, mal
kürzere Erstleser und ganz oft ist es alles auf einmal, das bewältigt werden
muss. Hier ist es ganz sicher so, dass ich nicht stur nur einem Weg folge und
alles andere rechts und links liegenlasse. Hier mache ich es so wie du: mal die
eine Leiter, dann wieder die andere ein Stück. Und manchmal ist der Weg zum
Ziel verdammt lang und steil.
Dabei
versuche ich das umzusetzen, was ich eigentlich im Radrennsport gelernt habe:
Wenn der Berg sehr steil ist, niemals auf den Gipfel gucken und auf das lange
Stück Asphalt, das noch vor dir liegt. Den Blick immer nur aufs Vorderrad und
die nächsten 30 Zentimeter. Die müssen geschafft werden. Und dann wieder die
nächsten 30 Zentimeter. Und ganz notfalls auch mal ein paar Serpentinen auf der
Straße fahren, wenn der direkte Weg zu steil ist. Und wieder 30 Zentimeter. Und
plötzlich ist man am Gipfel.
So hangele
ich mich heute noch durch schwere oder langwierige Aufgaben. Zentimeter für
Zentimeter, Seite für Seite, manchmal auch nur Satz für Satz.
Nur
Absteigen sollte man nach Möglichkeit nicht, weil danach die Beine verdammt
schwer werden.
Und ich
glaube, das war mein Fehler in letzter Zeit. Ich bin zu oft abgestiegen. Und
einige Male hat mich auch ein fieses Unwetter vom Rad gepustet. Und jedes Mal
wird das Anfahren ein bisschen mühseliger. Aber so allmählich komme ich wieder
in den Tritt.
Eigentlich
wäre das ja eine prima Möglichkeit, die vielen kleinen Schritte und Zentimeter,
die zurückgelegt werden müssen, in meinem Bullet Journal graphisch
darzustellen. Ich glaube, ich brauche jetzt mal meine Stifte.
Ich drück dich. Ganz doll.
Jutta
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