E-Mail für dich - Der Versuch einer Antwort

Liebe Alice,

jetzt liegt Deine Mail schon mehr als einen Monat zurück. Es war nicht Faulheit, dass ich Dir noch nicht geantwortet habe. Eher Sprachlosigkeit. Das Schreiben, selbst das von Mails, war mir abhanden gekommen.
Ja, im März in Zürich standen die Zeichen schon schlecht. Täglich fragten wir uns, ob unsere Lesungen noch stattfinden oder ob man sie absagen würde. Ich hatte Glück. Meine komplette Lesereise wurde noch durchgeführt, danach war Schluss. Und ich war genauso glücklich wie Du, dass ich an Deiner Lesung ebenfalls noch teilnehmen konnte, denn ich habe daraus und aus Deinem Umgang mit den Jugendlichen sehr viel für mich und meine Arbeit mitnehmen können. Und ja, wir waren voller Ideen und Pläne für die Zukunft, vor allem für dieses Jahr.
Ich hatte gerade einen neuen Kinderroman fertig geschrieben und wartete auf das Lektorat, ich hatte Pläne für meine Schreibschule, die gerade erst im Entstehen ist, ich hatte erste Ideen für weitere Bücher und wir wollten auch einiges zusammen auf die Beine stellen.

Und dann kam Corona.

Du hast mir von Dir erzählt aus dieser Zeit und mich gefragt, wie es mir geht und was ich mache. Zunächst einmal: Sämtliche Lesungen für dieses Jahr, alle Schreibwerkstätten, also nahezu alles, womit ich mein Geld verdiene, wurde mir abgesagt. Und was mich so schmerzt: Es geht ja nicht nur mir alleine so. Es geht uns allen so. Allen AutorInnen, allen SchauspielerInnen, allen MusikerInnen. Auch wenn inzwischen nach etlichen Wochen die Läden langsam wieder öffnen dürfen, die Schulen erste vorsichtige kleine Schritte mit einigen wenigen Schülern wagen, werden wir KünstlerInnen noch lange lange keine Auftritte, Lesungen oder Workshops haben. Für mich persönlich bedeutet das einen Einkommensverlust von mehreren Tausend Euro. 

Aber: Ich lebe in einer wunderbaren Stadt, die nicht erst seit den furchtbaren Anschlägen im Februar diesen Jahres zusammensteht. Und so wird in Hanau gerade alles getan, um zu helfen. Jetzt durfte ich auch meine Homepage auf die Plattform "Hanau-Vorfreude" stellen und meine Mitbürger um Unterstützung bitten. Alleine das Wissen, mit meinen Sorgen nicht alleine zu sein, hilft mir schon sehr.

Ansonsten geht es mir trotz allem gut. Meine drei noch zu Hause lebenden Jungs und ich sind zu einer verschworenen Gemeinschaft geworden, die täglich viel Zeit miteinander verbringt. Und ja, ich betrachte das durchaus als ganz besondere, als geschenkte Zeit, als Zeit, die wir so ohne Corona nicht mehr miteinander gehabt hätten. Denn Jungs zwischen 15 und 18 sind nur noch eher selten zu Hause anzutreffen, um so schöner ist es jetzt für mich, sie um mich zu haben.

Auch unserem Garten tut die erzwungene Quarantäne gut. Wir haben ihn endlich gerodet, von meterlangen Brombeerranken befreit und sind dabei, ihn mit bienen- und insektenfreundlichen Pflanzen zu bestücken. Nach fast zweijähriger Untätigkeit liegt da noch viel Arbeit vor uns, aber die körperliche Arbeit tut gut und macht den Kopf frei. Ich bin sehr dankbar für diese Möglichkeit.

© Klaus Wilke
Meine beiden erwachsenen Kinder fehlen mir. Hier geht es mir wie Dir. Außer ein paar langen Telefonaten war all die Wochen kein Kontakt möglich. Auch meine Eltern habe ich nur kurz und von weitem sehen können. Das tut weh und ist nur schwer auszuhalten. Meinen Lebensgefährten habe ich zuletzt an meinem Geburtstag gesehen, das war noch vor der Züricher Lesetour, und so langsam wächst die Sehnsucht ins Unermessliche. Aber lange Fahrten mit der Bahn waren und sind einfach zu riskant. Dieses Risiko wollten wir nicht eingehen.

Was mir Sorgen macht, ist meine Zukunft als Autorin. Zwei Buchmessen sind bereits ausgefallen, ich persönlich glaube auch nicht daran, dass die Buchmesse in Frankfurt stattfinden wird. Verlage schieben ihre Programme und aktuell sieht es auch nicht so aus, als ob die Verlage Raum und Geld hätten für neue Texte und Ideen.

Aber in meinem Leben habe ich eins gelernt: Wenn eine Tür zufällt, dann öffnet sich irgendwo eine andere. Oder um bei Deinem Bild mit den Brücken zu bleiben: Wenn eine Brücke zerstört wird, dann muss man seinen Weg weiter gehen, bis eine andere Brücke kommt. Mir sind schon mehrfach Brücken weggebrochen und von mir eingeschlagene Wege dadurch abgeschnitten, und fast immer war es rückblickend so, dass sich der Umweg zur nächsten Brücke gelohnt hat, weil ich dabei Dinge entdeckt oder kennengelernt habe, die mir sonst verborgen geblieben wären.

Klingt es zu esoterisch, wenn ich sage, eine Krise ist immer auch eine Chance? Ich sehe das tatsächlich so.
Aktuell versuche ich deshalb, die Zeit, die ich durch weggebrochene Lesungen habe, für neue Ideen zu nutzen, an meinen Texten zu arbeiten, meinen übervollen Haushalt zu entrümpeln und meinen Garten zu pflegen. 
Womit ich nicht so viel anfangen kann in dieser Zeit: Mit dem Bemühen unserer KollegInnen, sich permanent online zu präsentieren. Es liegt mir einfach nicht, mich vor eine Kamera zu setzen und meine Bücher vorzulesen. Natürlich würde ich es machen, wenn z.B. eine Schule mich darum bittet, aber zu Lesungen gehört für mich immer auch der unmittelbare Kontakt zu meinen ZuhörerInnen, das Gespräch und der Austausch mit ihnen. Versteh mich nicht falsch: Ich sehe das Bemühen unserer KollegInnen, nicht in Vergessenheit zu geraten, auf sich und ihre Bücher auch bei geschlossenen Buchhandlungen und weggebrochenen Buchmessen aufmerksam zu machen. Trotzdem sehe ich es als Autorin, die ihren Lebensunterhalt mit Lesungen und Workshops verdient, durchaus kritisch, dass gerade von uns offenbar wieder erwartet wird, unsere Inhalte zu Unterhaltungszwecken kostenlos zur Verfügung zu stellen. Wir leben vom Schreiben und unseren Büchern und aktuell können wir das kaum mehr.  Trotzdem wird offenbar von vielen erwartet, dass wir jetzt die Inhalte unserer Lebensgrundlage kostenlos allen zur Verfügung stellen. Das ist ein bisschen so, als würde man von geschlossenen Gaststätten erwarten, dass sie ihre Menüs jetzt kostenlos den Privathaushalten anbieten, wenn sie doch ohnehin geschlossen bleiben müssen. 

Ob ich Angst vor dem Virus habe? Nein. Nicht weil ich so vermessen bin zu glauben, dass es mich nicht erreichen kann. Aber ich begegne ihm eher mit Respekt oder noch besser mit Demut, als mit Angst. Es macht mich demütig zu sehen, wie das kleinste aller denkbaren Lebewesen (ich weiß nicht ob es wissenschaftlich korrekt ist, von einem Lebewesen zu sprechen, aber mir erscheint es als solches) die komplette Menschheit in ihre Schranken weisen kann. Mich macht es demütig, so auf mich selbst zurückgeworfen zu werden. Ich trauere mit denen, die unter Corona leiden. Ich denke vor allem an die Menschen in den Ländern, die keine Chance haben, deren Gesundheitssysteme völlig überfordert sind, die keinerlei soziale Netze haben, die sie auffangen. Und ich bin dankbar dafür, dass ich hier so behütet und trotz aller Schwierigkeiten doch auch sicher lebe.  Ich bemühe mich, vorsichtig zu sein, mich und meine Lieben zu schützen, soweit ich das vermag. Mehr kann ich nicht tun. Und mehr Angst will ich auch nicht zulassen, weil ich nicht in starrer Panik verharren will, sondern sehe, dass ich immer noch Dinge bewegen kann, sei es in der Natur, in meiner unmittelbaren Umgebung oder in meinen Geschichten. Ich denke viel nach darüber, wie es weiter gehen soll. Wie es weitergehen kann. Denn dass es nicht mehr immer nur höher, schneller, weiter geht, dass wir so aus vollem Lauf gestoppt worden sind, will uns doch auch etwas sagen. Und da müssen wir ansetzen. Das glaube ich ganz fest. 

Wenn ich meine letzten Wochen zusammenfassen soll, dann sind es diese Begriffe, die sie prägen: Demut und Dankbarkeit.

Mit einer festen Umarmung aus der Ferne.

Jutta

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