Inselgedanken

Die meisten von Euch haben ja zwischenzeitlich mitbekommen, dass ich nicht nur Kinder- und Jugendbücher schreibe, sondern auch die Kinderbuchabteilung im Buchladen am Freiheitsplatz   betreue. Letzte Woche stöberte ich ein wenig in den Fotos vergangener Veranstaltungen im Buchladen und bin dabei eher zufällig über den Rückblick zu unserem bisher letzten "Sofa am Samstag" gestolpert, dass zufällig genau an meinem Geburtsag, am 7. März 2020, stattgefunden hat. Für alle, die nicht dabei waren, HIER geht es zu den Bildern dieser Veranstaltung.

Mein wunderbarer Kollege und Freund, der Künstler Mehrdad Zaeri, hatte an diesem Samstag auf dem Sofa im Buchladen Platz genommen, Beim Durchgucken der Fotos von diesem Nachmittag fühlte ich mich zurückversetzt in eine Zeit, die irgendwie "zwischen den Zeiten" lag und mir dadurch fast unwirklich erschien.

Die furchtbaren rassistisch motivierten Morde in Hanau lagen gerade erst etwa zwei Wochen zurück, die offizielle Trauerfeier für die Opfer erst wenige Tage. Meine Stadt Hanau stand noch völlig unter Schock.

Trotzdem gelang es Mehrdad, uns alle mit seiner Erzählweise und seinen Bildern für einen Moment aus dieser Schockstarre herauszuholen und uns in eine Welt voller Geschichten zu entführen, die ja letztendlich auch immer unsere eigenen Geschichten sind.

 

Alle, die an diesem Nachmittag dabei waren, haben danach noch oft bekundet, wie besonders diese Veranstaltung war.

Und schon wenige Tage später überrollte uns Corona mit seinen Ladenschließungen, den geschlossenen Schulen, den ausfallenden Lesungen und Workshops, dem teilweisen Lockdown und den vielen vielen Absagen von weiteren Veranstaltungen, vor allem auch den beiden für uns wichtigen Messen in Leipzig und Bologna.

Vermutlich liegt es daran, dass mir die Bilder von diesem "Sofa am Samstag" im März, das ja gleichzeitig auch meine Geburtstagsfeier war, heute so unwirklich vorkommen. Fast wie eine kleine Insel mitten in den stürmischen Wellen, die dieses Jahr bisher so mit sich brachte.

Und jetzt gibt es seit ein paar Tagen wieder eine solche kleine Insel zum Durchatmen, zum Anschauen, zum Durchblättern, zum Zurückerinnern und Vorwärtsträumen.

 

Mehrdad hat einen neuen Wandkalender 2021 herausgebracht, gefüllt mit 13 wunderschönen Bildern, ich habe ihn schon zu Hause und natürlich gibt es ihn auch bei uns im Buchladen am Freiheitsplatz.

Und wer ein bisschen sucht, findet hier die Insel, die ich Euch versprochen habe.


Kommentare

  1. Danke für diese wunderschöne Insel.

    Ich möchte dir von meiner Insel erzählen. Es war der letzte Tag meiner Zürcher Lesetour, einer Tour zum Vergessen, weil es eine war, bei der ich mir ein bisschen wie eine Mischung aus Fussabtreter und Pausenclown vorkam. Ich hielt mich in einem Meer aus ignorierender Gleichgültigkeit freudlos über Wasser; hätte während der Lesungen auch singen oder tanzen können, ich glaube, es wäre egal gewesen. Zum Glück ragte mitten aus diesem Meer eine Insel der Menschlichkeit. Und diese Insel warst du. Hätte ich dich bei diesen Lesungen nicht für eine Weile an meiner Seite gehabt, wäre ich wohl ertrunken. Unsere Gespräche waren bunt, voller Träume, voller Ideen, obwohl Corona schon über uns hing wie ein Schatten. Wir wussten um den Wechsel, der kommen würde, und dennoch waren wir damals gemeinsam in einem Hoch. Wollten den Umständen nicht trotzen, sondern ihm unseren Optimismus und unser Herz entgegenhalten. Unsere Wege trennten sich. Mir blieb ein letzter Freitag auf dieser freudlosen Tour. Mit einem Morgen zum Vergessen. Aber auch einem ehrlichen Morgen. Die Anwesenen bekamen von mir alles gesagt, was sich im Laufe der Woche aufgestaut hatte. Wohl mit einem Anflug von schlechtem Gewissen schenkten sie mir am Ende teure Schokolade. Wäre ich nicht gegen das Fortwerfen von Lebensmitteln, wäre die Schokolade schon unterwegs zum Bahnhof in einem Abfalleimer gelandet. So aber nahm ich sie mit.

    Meine letzte Lesung war weit abseits von allem. Der Bahnhof befand sich ausserhalb des Dorfes, ich kam viel zu früh an. Ich atmete den Frühling ein, spazierte zum kleinen Dorfkern und setzte mich dort auf eine Bank. Den bevorstehenden Lockdown vorausahnend, sass ich da, atmete ganz bewusst, sog die Schönheit der Landschaft und des Dorfes in mich auf und wusste: Das machst du jetzt für lange Zeit das letzte Mal. Vielleicht nie wieder. Denn was kommen wird, wird alles ändern. Diese Bank in diesem kleinen Dorf wurde für mich die zweite kleine Insel dieser Woche. Ich glaube, ich habe selten so bewusst gelebt. Und wie zur Belohnung traf ich bei der letzten Lesung der Tour auf eine wunderbare Bibliothekarin, auf wunderbare Kinder, auf aufmerksame Lehrpersonen. Es war wie eine kleine Versöhnung mit der Welt.

    Die Schokolade habe ich am Bahnhof einer netten Dame geschenkt.

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    1. Liebe Alice,
      danke für das Zurückholen der Erinnerungen an diese kleinen Inseln damals in der Züricher Lesewoche. Diese Woche fand ja genau nach unserer Veranstaltung mit Mehrdad Zaeri statt und stand wegen Corona wirklich auf wackeligen Füßen. Jeden Morgen musste ich im Hotel erst checken, ob die heutige Lesung überhaupt noch stattfinden würde. Und am Tag meiner Abreise aus der Schweiz war auch definitiv Schluss und es kam zum Lockdown überall. Auch für mich waren unsere Treffen und Gespräche das, was mich durch diese Woche getragen hat. Auch ich hatte das Glück, gerade am letzten Tag noch eine wunderschöne Lesung zu erleben. Was mich mit der eher anstrengenden Woche dann wieder versöhnt hat. Nur teure Schokolade gabs für mich leider nicht. Meine Jungs hätten sich darüber gefreut :-)

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  2. Ja,
    liebe Jutta,
    solche kleine Inseln sind lebenswichtig! Tag für Tag aufs Neue, und vielleicht heute noch mehr...
    Wir schaffen sie uns selbst. Oder lassen uns mitnehmen von Menschen, die uns gut tun.

    Ohne weitere Worte - dafür mit einem ganz herzlichen Gruss
    Hausfrau Hanna

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    1. Liebe Hausfrau Hanna,
      ganz herzliche Grüße zurück. Auch dein Blog ist immer wieder so eine kleine Insel für mich.

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