Manchmal muss man einfach springen oder was Schreiben mit Gnocchis zu tun hat

© Gerd Altmann

Egal wo ich lese, in fast allen Blogbeiträgen in den letzten Wochen geht es nur darum, was Corona alles durcheinander gebracht hat, mit welchen Einschränkungen wir seit Beginn der Pandemie leben müssen und wie es uns damit geht. Alles berechtigt, keine Frage, aber ich habe gerade jetzt auch das Gefühl, dass die derzeitige Situation mich wieder zu meinen Ursprüngen zurück bringt. Und das, obwohl es mir zumindest finanziell wesentlich schlechter geht, als es ohnehin schon die ganze Zeit ging, und ich mir ein "ich lebe, um zu schreiben" eigentlich nicht wirklich leisten kann. Das ist auch der Grund dafür, warum schon vor Corona mein Motto immer mehr zu "ich schreibe, um zu leben" wurde. Ja, ich hatte es geschafft, ich war Kinder- und Jugendbuchautorin, ich konnte mich und meine Kinder halbwegs vom Schreiben und den damit verbundenen Lesungen und Schreibwerkstätten ernähren. Letztere sind komplett weggebrochen und wenn ich jetzt nicht den kleinen Teilzeitjob in meiner Buchhandlung hätte, würden wir wohl verhungern.

Dann kam der Lockdown und damit sehr sehr viel Zeit, in der man irgendwie nichts weiter machen konnte, als abwarten, ich habe das Gärtnern für mich entdeckt, das Laufen in der Natur ebenfalls und außerdem viel Zeit mit meinen noch im Haus befindlichen Kindern verbracht, die schon fast junge Erwachsene sind und unter normalen Umständen kaum noch zu Hause. Ich habe das alles als wertvolle, als geschenkte Zeit empfunden. Und in diesem von fast allen Alltagspflichten entbundenen Freiraum entstanden sie plötzlich wieder, die Geschichten in meinem Kopf. Sie ploppten hoch wie die Gnocchi-Klößchen, wenn man sie eine Weile im kochenden Wasser lässt. Erst eins, dann zwei, dann immer mehr. Ich fing an zu schreiben, plötzlich hatte ich mehrere Notizbücher gleichzeitig angefangen für ganz verschiedene Geschichten. Mein Kopf sprudelte über vor Ideen, wo seit Wochen vorher noch gähnende Leere war. 

Geld floss immer noch nicht. Lesungen wurden weiter abgesagt. Und dann kam der Super-GAU. Mein fertiger Kinderroman, auf den ich mich schon so sehr freue und für den ich bereits erste Lesungen im neuen Jahr akquiriert hatte, wurde vom Verlag auf das Herbstprogramm 2021 verschoben. Die Gründe sind triftige und durchaus nachvollziehbar, trotzdem habe ich erstmal einen Abend in der Ecke gesessen und geheult. Ich war fassungslos. Bis Herbst 2021 kein neues Buch mehr auf dem Markt? Ich musste etwas tun - dringend. Dachte ich zumindest.

Dann telefonierte ich mit meiner Agentin. Erzählte ihr von all den tollen neuen Ideen, die ich hatte. Ganz verschiedene Projekte hatten angefangen, sich in mir einzunisten. Sie hörte sich alles an, fand das eine oder andere auch richtig gut und riet mir, ihr schnellstmöglich Exposés, Leseproben, Konzepte für alles zu schicken. Auch wenn die Frankfurter Buchmesse in diesem Jahr quasi nicht stattfindet, findet sie eben doch online statt, sprich Agenturen und Verlage haben Telefon- und Videokonferenzen und da könnte sie gut mit meinen neuen Projekten auf Verlagssuche gehen. 

Plötzlich war es mit der Ruhe vorbei. Ich versuchte hektisch, an allem gleichzeitig zu arbeiten, mir für jede Idee ein halbwegs brauchbares Exposé und ein paar Zeilen Text aus den Fingern zu saugen. Und erinnerte mich dabei zurück an so einige Geschichten, die ich tatsächlich nur mit einem Exposé an einen Verlag verkauft hatte. Ich war stolz darauf, es so weit gebracht zu haben, dass ich meine Verträge abschließen konnte, bevor ich auch nur eine einzige Zeile geschrieben hatte.

Was ich dabei gerne vergaß oder unter den Tisch fallen ließ, war die Tatsache, wie oft sich ein Verlag dann in meine Ideen einmischte. Nicht immer natürlich, aber eben doch oft. Da wurden Handlungsstränge zerlegt und wieder völlig neu zusammengesetzt, da wurden Namen meiner Protagonisten geändert, da wurde sogar das Geschlecht meiner Protagonisten geändert, noch bevor ich überhaupt mit dem Schreiban angefangen hatte. Wie gesagt, das geschah nicht immer, aber eben doch so oft, dass es mir schmerzlich in Erinnerung geblieben ist. Je früher ein Verlag an einem Buch beteiligt war, desto mehr fühlte es sich plötzlich wie eine Auftragsarbeit an und nicht mehr wie meine eigene Geschichte. 

Und jetzt saß ich da und versuchte wieder verzweifelt, jedes Fitzelchen Idee so aufzupolieren, dass ein möglicher Verlag neugierig werden und anbeißen könnte. Und es ging mir schlecht damit. Ich war gestresst, unter Druck, Zeitdruck sowieso, aber auch das dauernde Draufschielen, für wen könnte ich das wie verpacken, hat mich total aufgerieben.

Dann habe ich mit einer Kollegin gesprochen, die viel, wirklich sehr viel arbeitet und mir dann anvertraute, dass sie sich fühle, als würde sie im Grunde nur noch Aufträge bedienen. Mit freiem Schreiben und irgendeiner Art von künstlerischem Schaffen hatte das schon lange nichts mehr zu tun. Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Und ich fragte mich sehr ernsthaft: Will ich vom Schreiben leben oder will ich leben, um zu schreiben?

Versteht mich nicht falsch: Das eine muss das andere nicht zwangsläufig ausschließen. Wenn man gute Bücher macht, diese gut unterbringt, sie sich gut verkaufen und man ausreichend Lesungen damit machen kann, ist es durchaus möglich, vom Schreiben zu leben. Für mich ist die Frage nur: Woher kommen die Bücher? Kommen sie aus mir selbst oder bediene ich nur einen Markt, um mein Produkt verkaufen zu können. Und mir ist inzwischen ganz klar: Ich will zurück zu dem Schreiben meiner Anfänge. Ich will meine Geschichten so erzählen, wie ICH sie erzählen will, Und ich will sie zuende erzählen, bevor sie jemand lesen darf. Das soll bitte nicht falsch verstanden werden. Ich bin die Letzte, die sich gegen ein gutes Lektorat wehrt, im Gegenteil, meistens bin ich meinen Lektorinnen ausgesprochen dankbar für ihre wertvollen Tipps und Gedanken.

Und ich werde auch in Zukunft keine Auftragsarbeiten ablehnen, vorausgesetzt, es sind Aufträge, die ich zu leisten imstande bin. Aber meine Geschichten, die Gnocchi, die aus mir ganz alleine nach oben ploppen, die möchte ich wieder selbst abschöpfen und zubreiten, die will ich zuerst aufschreiben, auch wenn das vermutlich heißt, dass ich sehr lange auf einen weiteren Vorschuss verzichten muss.

Es gibt auch andere Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Ich hecke allerlei aus, mehr erfahrt ihr demnächst, aber mein Schreiben will ich mir nicht mehr nehmen lassen. Seit ich diese Entscheidung getroffen habe, geht es mir so viel besser. Ich habe wieder angefangen zu schreiben. Ohne Seil und doppelten Boden. Ich habe eine Seite aufgeschlagen und fülle sie. Und dann die nächste und wieder die nächste. Ohne zu wissen, ob dieses Buch jemals erscheint und wenn ja, wo es erscheinen wird. Aber ich habe mir meine Protagonisten wieder an den Küchentisch geholt. Sie sitzen wieder hier und diskutieren mit mir, mischen sich ein und teilen ihre Gedanken, ihr Leben mit mir. Nur mit mir. Und das fühlt sich verdammt gut an. Ich bin gesprungen. Und werde auch irgendwie auf der anderen Seite landen.

 

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Kommentare

  1. Das klingt sooo gut. Und sooo richtig. Ich wünsche dir alles Liebe und Gute auf deinem Weg.

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