Werde, der du bist. Und erbe reich.

 

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Ich schreibe eher selten Rezensionen. Als Autorin haftet einem dann immer so ein bisschen an, man halte sich für etwas besseres. Was ich keineswegs tue. Und als Buchhändlerin möchte ich Menschen für Bücher begeistern. Im Buchladen rate ich daher auch eher zu bestimmten Büchern zu, statt von anderen ab.

Warum ich heute eine Ausnahme mache? Weil ich ehrlich enttäuscht bin. Enttäuscht und auch ein bisschen irritiert.
Ich habe mich schon lange auf das neue Buch von Bas Kast gefreut: Das Buch eines Sommers. Erschienen im Diogenes Verlag.


 

Zum Inhalt:
Im Sommer seines Lebens hat Nicolas einen Traum. Er will Schriftsteller werden wie sein Onkel. Dann kommt das Leben dazwischen und die Firma seines Vaters, Verantwortung, Termine und lauter Zwänge. Als sein Onkel stirbt, verliert Nicolas den einzigen Menschen, der an ihn geglaubt hat. Doch überraschend findet er am unwahrscheinlichsten Ort den Schlüssel, der ihm hilft, zu dem zu werden, der er wirklich ist.

Natürlich war mir nach dieserm Klappentext schon klar, dass dieses Buch mehr ein Lebensratgeber sein wird als tatsächlich ein Roman. Werde, der du bist. Dieser Ratschlag schwebte in imaginären fetten Lettern über dem Buch. Aber warum nicht? Ich habe andere Bücher des Autors gelesen und sie haben mir ausgesprochen gut gefallen. Und ein Mann, der entgegen aller Lebenszwänge Schriftsteller werden möchte, ist zwar keine ganz neue Geschichte, aber dadurch ja nicht zwangsläufig eine schlechte. Ich war also ehrlich gespannt und voll freudiger Erwartung. Aber leider haben sich meine Erwartungen nicht erfüllt. 

Im Grunde ist die ganze Geschichte nichts als eine Aneinanderreihung von Klischees:

Vorsicht - Spoiler!!

- Ein Ehemann und Vater mittleren Alters leitet ein großes Pharmaunternehmen, das kurz vor dem Durchbruch einer bahnbrechenden Erfindung steht

- Die Ehe kriselt schwer, natürlich, der Mann interessiert sich ja nur für seinen ach so wichtigen Job

- Wenn er für sein Kind Zeit hat, dann, weil er mit ihm Mathe üben will. Klar, jeder Unternehmer will doch, dass sein kleines Kind später ein Mathegenie wird.

- Die Ehefrau hat ebenfalls einen Top-Beruf, hat gerade einen hochbrisanten wissenschaftlichen Artikel verfasst, davon hat er aber nichts mitbekommen. Blöd.

- Der gestresste Protagonist hat als Pendant zum Vater glücklicherweise einen Künstler-Onkel, das Enfant terrible der Familie: Einen erfolgreichen Schriftsteller. Der natürlich - wie sollte es auch anders sein - in einer großen alten Villa irgendwo im Süden auf einem riesigen Anwesen lebt, der gerne und ständig Wein oder Champagner trinkt, dazu Käse reicht, natürlich stets lässig gekleidet ist, einen alten Porsche fährt. Ein Lebemann par Exellence. 

- Der Onkel stirbt und unser mit seinem Leben unzufriedener Held erbt das gesamte Anwesen. 

Jetzt kommt der mystische Teil, der fast aus der Feder von Strelecky stammen könnte. Der Protagonist trifft nachts in seinen Träumen eine Romanfigur seines Onkels, die fast ein Pendant des Onkels zu sein scheint und die unserem Helden in eindrücklichen Worten klar macht, dass er zu sich selbst finden muss, dass er seinen eigenen Weg finden muss. Kurz: Erkenne wer du bist und werde, der du bist. 

Das ist so ziemlich das billigste Stilmittel überhaupt. Wenn du  nicht weißt, wie du deinen Protagonist auf den richtigen Weg bringen sollst, dann lass es ihn doch träumen. Im Traum ist schließlich alles erlaubt. Schade, denn hier wäre die Chance für Kast gewesen, seinem Helden ein paar wertvolle Selbsterkenntnisse abzuringen. Schließlich hat nicht jeder einen Mentor, der ihm im Traum erscheint.

Inzwischen landet die Firma des Protagonisten den großen Coup, zum Glück ist da ein superfähiger Mitarbeiter, den der Prota schnell zum Partner macht, denn inzwischen hat er herausgefunden, dass er mehr Zeit braucht, weil er auch schon immer ein Buch schreiben wollte, auch die Ehefrau will plötzlich ein Buch schreiben, man versöhnt sich und mit dem neuen Partner hat der Protagonist jetzt endlich mehr Zeit für sein Leben, seine Ehe, sein Kind und den Roman, den er schreiben will. Ach ja, der neue Firmen-Partner hat eigentlich gerade DAS Traumangebot seines Lebens bekommen, aber als unser Prota ihn fragt, ob er nicht bei ihm bleiben will, verdrückt er ein paar Tränchen, weil er genau davon schon als Student geträumt hat.

Also eigentlich alles, wie mitten aus dem Leben gegriffen. Man erbt einen großen Pharmakonzern, entwickelt ein Produkt, mit dem sich Millionen verdienen lassen, später erbt man eine Villa, schnappt sich eine Flasche Wein und setzt sich - das tut der Held unserer Geschichte auch - einen Strohhut auf den Kopf und schreibt einen Bestseller. Ende gut - alles gut.

Ihr da draußen, die ihr alle so gerne schreiben wollt: Warum zögert ihr noch? Fehlt euch die Villa? Oder liegt es am falschen Wein. Ich habe gelernt, dass es durchaus auch mal Rosé sein darf. Werde ich demnächst ausprobieren.

Ach - fast hätte ich noch ein Klischee vergessen: Das Kind unseres Protagonisten, der kleine Junge, findet nämlich auch neue Freundinnen. Zwei Mädchen. Die wurden von einem kinderlosen Paar anlässlich eines Afrika-Urlaubs (!!) adoptiert. Ist das nicht herzergreifend??

Ganz ehrlich: 

Ich bin mehr als enttäuscht. Und ich bin vollkommen ratlos: Auf einem Wühltisch für Herz-Schmerz-Geschichten hätte ich mich über dieses Buch nicht geärgert. Hätte bestenfalls stilistisch das eine oder andere kritisiert. Aber warum der Diogenes - Verlag das gemacht hat, dessen Bücher ich sonst fast ausnahmslos heiß und innig liebe, das begreife ich nicht. Und hege den leisen Verdacht, dass es der Name des immerhin ziemlich bekannten Autors war, der ihm diesen Vertrag beschert hat. Die Qualität der Geschichte kann es keinesfalls gewesen sein. Schade.



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