E-Mail für dich: Das Karlgeheimnis und die Gefühle einer Autorin
jetzt habe ich deine eMail an mich einige Tage immer wieder gelesen und über meine Antwort nachgedacht. Da ist so vieles, das ich dazu schreiben möchte, dass ich kaum weiß, wo ich anfangen soll. Ich fange deshalb vorne an, bei meinem allerersten Roman.
Es sind jetzt exakt 10 Jahre, dass mein Roman für Kinder ab 10 "Holundermond" im Coppenrath Verlag erschienen ist. Holundermond war für mich damals mein absolutes Herzensbuch. Es war das Buch, dessen Geschichte ich einfach erzählen wollte, noch völlig unwissend, unbefangen, ich wollte einfach nur schreiben und diese Geschichte (hoffentlich) veröffentlichen. Von Anfang an habe ich mich dabei als Verlagsautorin gesehen, denn eins war mir klar: Ich bin keine Geschäftsfrau. Und auch keine Technikfrau. Ich habe keine Ahnung von Schriften, von Papier, von Covern, von Buchpreisen, auch nicht von Marketing und Vertrieb. Und ich wollte das auch alles gar nicht lernen müssen.
Ich bin Geschichtenerzählerin. Durch und durch. Ich finde Geschichten und ich möchte sie weiter erzählen. Ich schreibe Geschichten, um das Leben zu verstehen, um mein Leben zu verstehen. Und um Kindern vielleicht ein Stück weit zu helfen, ihr Leben zu verstehen. Oder um ihnen zumindest Mut zu machen, ihrem Leben zu begegnen.
Also war ich überglücklich, als ich einen "richtigen" Verlag gefunden hatte, der mein Buch herausbringen würde. Und ich hatte noch mehr Glück. Sehr viel Glück. Holundermond war mein erster Roman und erschien sogleich als Spitzentitel, war auf die Cover der Kataloge gedruckt, hing in riesigen Plakaten am Verlagsstand meines Verlages auf der Frankfurter Buchmesse. Gott, was war ich glücklich. Und stolz. Als ich das erste Buch in Händen hielt, tranken wir Sekt, meine Kinder, damals noch recht klein, fingen an, meine Einkaufszettel zu sammeln, weil sie glaubten, dass meine Handschrift eines Tages noch berühmt werden könnte :-)
Ich habe nicht vom großen Ruhm geträumt. Das nicht. Aber ich wusste, ich habe das gefunden, das ich gut kann und womit ich zukünftig mein Geld verdienen möchte. Es war Andreas Steinhöfel, der mir in einem Gespräch dringend dazu riet, mir einen "Brotberuf" zu suchen. Der mir sagte, dass ich vom Schreiben nicht würde leben können. Schon gar nicht als alleinerziehende Mutter von 5 Kindern. Damals habe ich noch davon geträumt, dass das doch gehen müsste. Und habe den nächsten Roman geschrieben.
Seit dieser Zeit habe ich sieben Romane für Coppenrath geschrieben, zwei weitere für Fischer/Sauerländer und einen weiteren für Knesebeck. Und dazu unzählige Erstlesebücher für Fischer/Duden.
Und nein: Leben kann ich vom Schreiben auch heute noch nicht. Obwohl zwei meiner Kinder inzwischen erwachsen sind und finanziell auf eigenen Füßen stehen. Vor Corona konnte ich als Autorin überleben, weil ich im Jahr um die 100 Lesungen und Schreibwerkstätten gemacht habe. Das ist mit Corona so ziemlich komplett weggebrochen. Aber ich schweife ab. Zurück zu deiner Mail:
Ja, ich freue mich auch heute noch über ein neues Buch. Frau Freude, Frau Zuversicht und Frau Hoffnung sind auch heute noch zu Gast, aber - mit jeder neuen Buch-Party werden sie stiller. Zurückhaltender. Überschäumende Feierstimmung kommt keine mehr auf. Dazu sind Frau Bangen, Frau Zweifel und Dr. Doom zu ungehobelt, zu selbstbewusst und zu siegessicher geworden.
Herr Stolz bemüht sich. Klopft mir immer wieder auf die Schulter, verweist auf die tatsächlich vielen unglaublich guten Rezensionen und sagt: Nun sei doch mal stolz auf dich. Ich zucke mit den Schultern, weil Frau Zweifel neben mir nicht zu überhören ist: "Bringt doch nix. All die Rezis liest doch eh keiner."
Frau Freude streichelt das wirklich tolle Cover des noch viel tolleren Illustrators Ulf K. und murmelt die ganze Zeit: "Aber es ist doch so schön geworden. Freuen wir uns daran, wie schön das Buch geworden ist." Und ich freue mich. Ein bisschen. Aber dann kommt Herr Doom und verschüttet den Sekt und erklärt uns, dass auch ein schönes Cover in all den Reihen, die in den Buchläden stehen, zwischen all den bunten Stapeln doch hoffnungslos untergeht.
Frau Zuversicht nimmt noch ein Schlückchen. Sie räuspert sich und - man hört sie kaum - sagt: "Aber diesmal wird alles anders. Diesmal ist es ein wirklich gutes Buch. Die Buchhändler haben es alle eingekauft. Es liegt in fast jeder Buchhandlung. Die Verlagsvertreter haben ganze Arbeit geleistet. Du wirst sehen, diesmal klappt es."
Ich nicke Frau Zuversicht dankbar zu, da schaltet sich schon Frau Bangen ein: "Aber was, wenn die Buchhändler dein Buch nicht weiterempfehlen. Davon, dass es in den Regalen liegt, ist es ja noch lange nicht beim Endkunden. Wie willst du denn die Kinder erreichen?" Ja, wie?
In den letzten Jahren bin ich bei diesen Tischgesprächen immer kleinlauter geworden. Denn Tatsache ist: Keiner meiner großen Romane (mit groß meine ich den Umfang) im Coppenrath Verlag hat länger als zwei Jahre überlebt. Ich habe einen Stapel voll wunderbarer Bücher geschrieben, zumindest bestätigen mir das die vielen vielen positiven Rückmeldungen, aber ich kann sie nicht mehr zu Schullesungen mitnehmen, weil sie im Verlag schon lange geramscht worden sind. Einzige Ausnahme ist mein Kinderroman "Florentine oder Wie man ein Schwein in den Fahrstuhl kriegt", den ich nach seinem Rauswurf durch Sauerländer noch einmal erfolgreich als Schulbuch beim Buchverlag Kempen unterbringen konnte.
Bei jedem Roman habe ich wieder gehofft. Habe ich mich wieder gefreut. War ich wieder ein bisschen stolz. Aber die Damen Bangen und Zweifel wurden immer mächtiger. So auch diesmal.
Das Karlgeheimnis ist seit Anfang Juni auf dem Buchmarkt unterwegs. Ich weiß, dass es in vielen Buchhandlungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz angekommen ist. Was ich nicht weiß, ist, ob es dort auch verkauft wird. Ich frage nach, natürlich mache ich das. Die Antworten sind verhalten: mal abwarten, mal schauen, das müssen wir sehen.
Ich habe mich in diesem Jahr entschlossen, nicht mehr einfach zuzusehen, wie eins meiner Herzensbücher sang- und klanglos untergeht. Ich habe mir geschworen, alles, was in meiner Macht steht, zu tun, um mein Buch am Leben zu erhalten. Aber ich merke auch, wie schwer das ist.
Denn als Kinderbuchautorin muss ich die Eltern, die LehrerInnen, die BibliothekarInnen erreichen. Das versuche ich über die Socialmedia. Und hoffe, dass mein "Karlgeheimnis" dort wahrgenommen wird. Ich bin in den Verlag gefahren, um weitere Marketingideen zu besprechen.
Aber als Teilzeitbuchhändlerin weiß ich auch, dass der Verlag längst schon mit der Nase im nächsten Programm steckt, dass alle Aufmerksamkeit längst schon neuen Projekten, neuen Katalogen und neuen Marketingstrategien gilt. Was kann ich tun? Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Ich versuche, mein Buch ins Gespräch zu bringen. Karl und Emil und Finja, der demente Alte aus der 13, die dicke Frau Wischnewski und auch Serhat und Ali haben es einfach verdient, die Welt ein bisschen kennenzulernen, bevor sie für immer von ihrer Bildfläche verschwinden.
In vielen Rezensionen wurde nach einer Fortsetzung ihrer Geschichte gefragt. Wenn es nach mir ginge, würde ich diese schon längst schreiben. Der Plot steht, das Exposé liegt im Verlag. Aber noch will man die Verkaufszahlen abwarten. Und schwupps sitzen Frau Hoffnung und Frau Zweifel sich wieder gegenüber. Frau Zweifel schüttelt vehement den Kopf: "Das wird nix. Kein Kind wird dieses Buch lesen. In spätestens vier Monaten werden es die Händler remitieren, um Platz fürs Weihnachtsgeschäft zu haben. Und Frau Hoffnung flüstert, mehr zu sich selbst: "Vielleicht dieses Mal nicht. Vielleicht landet das Buch auf einer Shortlist oder in einem Podcast oder in einer Radiosendung." Den Rest konnte ich schon kaum mehr hören, weil Herr Doom hämisch lachte.
Tja, liebe Alice, du siehst, ich kann dir keine erschöpfende Antwort geben. Ich versuche wirklich alles, um mein Buchkind nicht untergehen zu lassen. Aber ich fühle mich manchmal sehr alleine damit. Und - weil ich nach wie vor auch wieder auf Lesungen hoffe - ich versuche parallel dazu, den nächsten Roman zu schreiben. Damit ich ein neues Buch vorweisen kann, wenn auch dieses wieder geramscht wird.
Und jetzt habe ich noch kein Wort dazu geschrieben, wie weh das tut. Denn - du Alice weißt das - diese Romane sind keine mal eben schnell geschriebenen Kurzgeschichten nach einem Schema F. Sie erzählen meine Geschichte. Die Figuren dort leben meinen Schmerz, meine Ängste, meine Sorgen, meine Hoffnung. Kürzlich fragte mich in einem Interview eine Journalistin, ob eine meiner Figuren quasi ich selbst sei. Ich habe sie völlig erstaunt angesehen. Ich bin alle meine Figuren. Auch im Karlgeheimnis ist das nicht anders. Ich bin der kleine Junge, der mit dem großen Verlust fertig werden muss, ich bin die Mutter, die nicht weiß, wie sie ihre ganzen finanziellen Sorgen stemmen soll. Ich bin Karl, der versucht, sein Lebenswerk vor dem Untergang zu bewahren. Ich bin aber auch Lotto-Werner, der immer wieder hofft, das Schicksal würde ihm eine Überraschung bereiten, ich bin Frau Wischnewski (zu dick bin ich auch), die sich im Stillen nach einer neuen großen Liebe sehnt. Ich bin ein Stück von Frau Jansen, die einfach nur noch müde ist, ich bin Silke, die versucht, äußerlich alles tipptopp zu halten, auch wenn es drinnen mal ganz finster aussieht, ich bin der Alte von der 13, nicht ganz so vergesslich, aber bestimmt genauso stur und ich bin manchmal sogar die fiese Bertram. Ganz selten nur.
Und genauso war ich all die anderen Figuren in den anderen Romanen und deshalb tut es so weh, wenn sie kaum länger auf dem Markt sind als ich gebraucht habe, um sie zum Leben zu erwecken.
Aber: Wie im "Karlgeheimnis" glaube ich auch im wirklichen Leben daran, dass man dann am meisten erreicht, wenn man zusammenhält. Ich bin Netzwerkerin. Ich spreche mit allen Menschen in meinem Verlag. Ich rede mit meiner Programmleiterin, meiner Lektorin, kenne meinen Pressesprecher und meine Marketingfrau. Ich kenne sogar zahlreiche meiner VerlagsvertreterInnen, habe eine tolle Agentin, habe Kontakt zum ganz wunderbaren Illustrator. Ich durfte durch meinen Zweitjob einige BuchhändlerInnen kennenlernen, ich habe Kontakt zu tollen Bloggerinnen und vor allem habe ich die beste Freundin, die man sich für so ein Projekt wünschen kann. Danke für dein großes Engagement und deine Begeisterung für meinen Büdchen-Roman.
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