Kreatives Schreiben als Schulfach - ein Plädoyer



 



Wenn ich gefragt werde, was ich mir für die Leseförderung unserer Kinder wünsche, ist meine Antwort ganz klar: Kreatives Schreiben als Schulfach.

Und damit meine ich nicht die Begabtenförderung durch Schreibkurse für Schülerinnen und Schüler, die ohnehin gerne schreiben. Begabtenförderung, Weiterbildung, das ist alles wichtig, ohne Frage. Aber was mir am Herzen liegt, ist der Zugang aller Kinder zum Schreiben, Fabulieren, Geschichten erfinden. 

Ich gebe zahlreiche Schreibworkshops an Schulen und in Bibliotheken. Und immer macht es für mich einen sehr großen Unterschied, ob vor mir Kinder sitzen, die schon länger gerne schreiben und das eben vertiefen wollen oder ob ich vor einer Klasse stehe, von der mindestens ein Drittel der Schülerinnen und Schüler absolut gar keinen Zugang zum Schreiben hat und dementsprechend auch wenig Lust. Und gerade diese Klassenkurse empfinde ich als einerseits große Herausforderung, andererseits aber auch als eine riesige Bereicherung. Und nicht selten sehe ich in strahlende Gesichter, wenn jemand, der in einem normalen Deutschaufsatz selten mehr als zwei vernünftige Sätze zustande bringt, auf einmal eine ganze Seite mit Text gefüllt hat und auch noch Spaß dabei hatte. 

Aber der Reihe nach:

Als Kinder dürfen wir schon sehr früh Musik machen. Wir bekommen Schüsseln, Topfdeckel und Kochlöffel in die Hand, später Xylophone oder Blockflöten, wir tanzen, singen und musizieren schon im Kindergarten wild durcheinander.

Spätestens wenn wir in der Lage sind, einen Stift zu halten, oft auch schon früher, dürfen wir uns im Malen und Zeichnen ausprobieren. Wir dürfen mit Fingerfarben Fensterscheiben bemalen, es gibt Badewannenfarben und Körperfarben, ganze Tapetenbahnen können wir mit unseren Kunstwerken versehen. 

Beim Schreiben dagegen steht zunächst die Technik im Vordergrund. Und dann die Grammatik. Es gibt Anlauttabellen und Schriftvorgaben, Grundschul-Duden und Wörterkästchen. Alles wichtig, keine Frage. Aber was mir fehlt - und vor allem nach meinen Erfahrungen auch den Kindern fehlt  - ist der kreative Umgang mit Sprache. Und damit meine ich jetzt nicht zwingend eine Reizwortgeschichte mit den Wörtern "Bauer, Äpfel, Traktor, Baum" (so geschehen in der Grundschulklasse meines jüngsten Sohnes). 

Wenn ich in Schreibkursen die Kinder frage, was brauchen wir, um eine spannende Geschichte schreiben zu können, lautet die Antwort IMMER: "Einleitung - Hauptteil - Schluss". Immer. 
Ich möchte aber, dass Kinder ihre Sprache als Instrument begreifen. Als Instrument, mit dem man herumblödeln kann, mit dem man völlig neue Wörter erfinden kann. Als Instrument, mit dem man Krach machen kann, aber auch leise und traurige Töne erzeugen kann. Ich möchte, dass Kinder lernen, wie man im Kopf nur mit Sprache Bilder erzeugen kann, wie man Trauer, Wut, Angst, Freude, Glück, Liebe ganz ohne Adjektive darstellen kann. Kurze Zwischenbemerkung: Auch die Auffassung, nur eine Geschichte mit  möglichst vielen verschiedenen Adjektiven ist eine gute Geschichte, hält sich nach wie vor hartnäckig im Deutschunterricht.
Ich möchte, dass Kinder Zaubersprüche erfinden und Stimmungen einfangen, dass sie ihre Welt durch die Augen einer Kamera im Kopf betrachten und sich trauen, auch an banale Szenen einmal ganz dicht heranzuzoomen. Ich möchte, dass Kinder beim Schreiben lachen und nicht stöhnen. Und eigentlich ist es ganz einfach. Es gibt tausende Möglichkeiten, das zu erreichen.

Wenn ich mit Kindern ins kreative Schreiben eintauche, sprechen wir auch immer wieder über Bücher, die sie kennen. Wir überlegen gemeinsam, wie hat der Autor/die Autorin es gemacht, dass uns dieses Buch so gut gefällt. Wir suchen Beispiele für gute Anfänge (und das ist niemals eine Einleitung!), wir suchen Beispiele für spannende Helden und tolle Settings. Wir probieren aus, wie wir nur mit Sprache Schnelligkeit (z.B. eine Flucht) oder Langsamkeit erzeugen können. 

Alle meine fünf Kinder (mit einem Altersunteschied von 14 Jahren zwischen dem ältesten und dem jüngsten Kind) mussten beim Deutschthema "Beschreibung" den fiktiven Verlust einer Sporttasche (Foto im Deutschbuch) bei der Polizei schildern, d.h. die Kinder sollten die abgebildete Sporttasche in allen Einzelheiten beschreiben. Mal ganz davon abgesehen, dass kein Mensch seine verlorene Sporttasche bei der Polizei melden würde, haben sich zumindest meine Kinder bei dieser Hausaufgabe alle  gequält. Kein Wunder - langweiliger geht es kaum.
Wenn ich aber die Kinder in Schreibkursen bitte, doch ein Raumschiff oder eine originelle Maschine zu erfinden und mir dann zu beschreiben, stürzen sich alle, wirklich alle, mit Feuereifer an die Arbeit. Und ganz besonders die, die Schreiben sonst immer todlangweilig finden.

Was ich damit sagen will: Ich wünsche mir Kreativität beim Erlernen unserer Spach- und Schreibkompetenz. Ich wünsche mir Unterricht, der weniger vorgibt und mehr ausprobieren lässt. Ich wünsche mir für die älteren Schüler nicht nur die Fächer Musik und Kunst. Inzwischen ist an vielen Schulen zumindest noch Darstellendes Spiel als Fach hinzugekommen. Aber warum kein Kreatives Schreiben? Wie wollen wir neugierig machen auf Geschichten und Bücher, wenn wir Kinder immer nur vermitteln, dass Schreiben eine todernste schwierige Angelegenheit ist? 

Deshalb immer wieder mein Plädoyer: Liebe Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer! Gebt der Sprache mehr Raum. Benutzt Sprache, wie ein Maler seine Farben oder ein Musiker sein Instrument. Bunt und schrill, grau und düster, laut und dann wieder ganz leise. Und ja, wer sein Instrument gut beherrschen will, muss irgendwann auch Tonleitern hoch und runter üben. Aber erst einmal muss er lernen, überhaupt Töne zu erzeugen. Ich freue mich auf die Geschichten, die dabei entstehen. 




Kommentare

  1. Ja. Ja, ja, ja, ja, ja.Ich erzähle genau dasselbe wie du, Jutta. Ob gefragt oder ungefragt. Und fast immer sind die Lehrpersonen meiner (unserer) Meinung. Zu all dem, was du geschrieben hast, kommt noch etwas dazu: Kinder/Jugendliche, denen man den Freiraum zum Schreiben gibt, mit denen man das Schreiben und die Freude daran entdeckt, entwickeln ein besseres Leseverständnis. Davon bin ich fest überzeugt. Denn wer das Schreiben als Freund betrachtet und nicht ein mühsames Übel, der liebt und versteht es. Und wenn er es nicht versteht, versucht er es zu verstehen, so, wie man einen Freund oder eine Freundin zu verstehen versucht. Ich bin so sehr bei dir und diesem Post, Jutta. Danke, dass du ihn geschrieben hast.
    Alice

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    1. Liebe Alice, danke für deinen zustimmenden Kommentar. Wir beide wissen es ja, weil wir so oft in Klassen unterwegs sind. Weil wir so oft erleben, wie selbst Kinder, die am liebsten erst einmal wegrennen würden, plötzlich strahlende Augen kriegen, wenn sie ihren ersten (freien) Text verfasst haben. Und ja, auch ich bin der Meinung, dass Kinder, die sich kreativ mit dem Schreiben beschäftigen, auch ein wesentlich besseres Leseverständnis entwickeln oder zumindest überhaupt mal wieder freiwillig ein Buch öffnen. Und sei es nur, um zu gucken, wie machen das eigentlich andere? Wie kriegt der Autor/die Autorin das hin?
      Und ja, es gibt viele Lehrpersonen, die das auch gerne vermitteln würden, aber oft sind sie an Lehrpläne gebunden, die ihnen keine Zeit für Freiräume lassen. Hier wünsche ich mir so sehr ein Umdenken in unserer Politik, die ja für diese Lehrpläne verantwortlich ist.
      Liebe Grüße vom Küchentisch
      Jutta

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  2. Ein wunderbares Plädoyer für die Vermittlung von Schreibliebe, das ich nur unterstützen kann! Wenn ich mich an meine Schulzeit erinnere, ging es eher um das Abhandeln von Stoff als um die Vermittlung von Freude und Liebe zur Sprache. Es mag sicherlich viele DeutschlehrerInnen geben, die dies leben und denen dies gelingt (eine solche durfte ich später erleben), aber leider gibt es auch viele, die leider offenbar selbst ihre Liebe zur Sprache und zum Schreiben verloren haben. Liebe LehrerInnen, liebe SchülerInnen, haltet an der Liebe zum Wort fest, geht kreativ mit ihnen um und bleibt begeistert. Danke für diesen Artikel. Worte sind der Zauber der Welt!

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  3. Lieber Stefan, danke für Deinen Kommentar. Ja, auch ich hatte das Glück, in meiner Schulzeit mit einem Deutschlehrer gesegnet zu sein, der mir seine Begeisterung für Sprache und Literatur nahebringen konnte. Ein Deutschlehrer, der es schaffte, mich für Texte zu begeistern, aber auch dafür, sie kreuz und quer zu betrachten, sie zu vergleichen, Verbindungen zu suchen, Parallelen zu finden, aber auch Unterschiede. Und dabei sprangen wir hin und her in der Kulturgeschichte, lasen oft mehrere Stoffe gleichzeitig. Auch das hat sich geändert. Vor allem in der Oberstufe bleibt kaum mehr Zeit für dieses intensive Lesen. Es werden Literaturschlüssel abgearbeitet und dann geht es schon zur nächsten (Pflicht)Lektüre. Der Deutschunterricht, den ich mir für kleine und auch große Kinder wünsche, wäre ein so anderer.
    Liebe Grüße vom Küchentisch
    Jutta

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