Nimm das Verb


 "Vergiss das Substantiv, nimm das Verb."

Mit dieser Aufforderung beginnt Austin Kleon das dritte Kapitel seines Buches "Gib nicht auf!", das ich hier mit euch zusammen nach und nach durcharbeite. Ihr könnt euch denken, dass ich als Autorin bei dieser Aufforderung zuerst zusammengezuckt bin, dann die Stirn gerunzelt habe und schließlich riesige Fragezeichen im Kopf hatte. Vergiss das Substantiv, nimm das Verb. Was zur Hölle will der Autor mir damit sagen?
Ich blätterte um und schon beim nächsten Satz fiel es mir erst wie Schuppen von den Augen, dann habe ich laut gelacht. Kleon schreibt:

"Eine Menge Leute wollen das Substantiv sein, ohne das Verb zu tun. Sie wollen die Jobbezeichnung, ohne die Arbeit zu leisten."

Und ja, mein Lachen war ein erkennendes Lachen, denn ich nehme mich da überhaupt nicht aus. Als ich meinen Beruf als Rechtsanwältin an den Nagel hängte, um fortan Kinderbücher zu schreiben, hatte ich noch kein einziges Buch geschrieben, aber ich fühlte mich nackt. Als Anwältin hatte ich Visitenkarten, ein großes Schild mit Berufsbezeichnung an der Außenwand der Kanzlei, ein kleines Schild mit Berufsbezeichnung an der privaten Haustür. Ich hatte einen Telefonbucheintrag (gibt es sowas heute überhaupt noch?) mit Berufsbezeichnung, ich war nicht irgendwer, sondern ich war Anwältin. Auch wenn ich mich selten so fühlte.

Und dann wollte ich Autorin sein. Ja, natürlich, ich wollte Kinderbücher und - geschichten schreiben, das wusste ich schon. Aber es war mir eben auch wichtig, dass das andere wissen. Ich setzte mich also hin und entwarf mir neue Visitenkarten. Solche, auf denen meine neue von mir angestrebte Berufsbezeichnung stand: Autorin. Geschrieben hatte ich noch keine Zeile. Aber ich war Autorin. Stand ja so auf meiner Visitenkarte.

Kleon schreibt weiter: "Vergiss, was du sein willst (das Substantiv) und konzentrier dich auf die Arbeit, die du verrichten musst (das Verb). Das Verb auszuführen wird dich vermutlich wesentlich weiter bringen und ist überdies viel, viel spannender."

Es ist spannender. Und auch viel viel schwerer. Ich habe es ja schließlich geschafft und etliche Kinderbücher nicht nur geschrieben sondern auch veröffentlicht. Darf ich mich jetzt also mit Fug und Recht Autorin nennen? Was, wenn ich zwar schreiben, aber nichts veröffentlichen würde? Bin ich dann keine Autorin mehr? In einem ehemaligen Autorenforum, in dem ich eine Weile zu Gast war, entbrannten oft hitzige Debatten darüber, wer sich Autorin nennen darf und wer nicht. Die Regel lautete ursprünglich: Nur wer in einem renommierten Verlag veröffentlicht hat, darf sich Autor*in  nennen. Dieses Gesetz wurde von vielen erfolgreichen Selfpublishern bereits zu Recht gekippt. Dann hörte ich, dass sich nur so nennen darf, wer auch allein von diesem Autor*innen-Einkommen leben kann. Mit dieser Einschränkung dürften sich im Kinderbuchbereich rund 95 % der Kinderbuchautor*innen nicht mehr so nennen. Denn wenn meine Zahlen stimmen, können bestenfalls 5 % von ihnen nur von ihren Tantiemen leben. Auch ich komme nur halbwegs über die Runden, weil ich eine Teilzeitstelle in einer Buchhandlung habe. Und bin auch hier in einem Konflikt. Bin ich jetzt Buchhändlerin oder Autorin? Wenn ich gefragt werde, sage ich oft: Autorin. Klingt besser. Denke ich. Und frage mich jetzt, warum ist das eigentlich so? Warum klingt es besser? Warum ist mir/uns das so wichtig, was da auf dem Schild, auf der Visitenkarte steht? Warum will ich / wollen wir so oft mehr sein, als tun? Warum das Substantiv und nicht das Verb?

Milena Moser erzählte in einem ihrer letzten Blogbeiträge, dass sie als 18-jährige einmal in einem Hotel eincheckte und als Berufsbezeichnung Schriftstellerin eintrug. Völlig selbstverständlich, selbstbewusst und ohne Zögern. Sie wurde später tatsächlich Schriftstellerin und dazu noch eine sehr erfolgreiche. Kann also das Substantiv so etwas wie das Tor zur Verwirklichung eines Traums sein? Mich selbst Autorin zu nennen kann auch motivieren. Dann muss ich nämlich irgendwann mir und der Welt beweisen, dass ich auch eine bin. Jeder Autor kennt die Frage, die kurz nach seiner Vorstellung auf einer Party folgt: Was haben Sie denn geschrieben?

Ich glaube tatsächlich, es hat ein bisschen etwas mit Bauchpinseln zu tun, wenn man sich mit Berufsbezeichnungen schmückt, die man (noch) nicht so richtig mit Tun ausfüllt. Ich kenne Menschen, die sich Schauspieler/Künstler/Schriftsteller nennen und weiter ohne Tun um ihren großen Traum kreisen. Was die Welt da draußen aber oftmals nicht sieht. Auf Visitenkarten stehen keine blauen Verifizierungshäkchen wie in den sozialen Netzwerken. Ich glaube, dass sich eine Achtzehnjährige, die sich Schriftstellerin nennt, ein Stückchen größer fühlt.  Und ich weiß auch, dass ich mich anerkannter fühle, wenn ich mich Schriftstellerin nenne.

Und eigentlich finde ich es doof, dass es so ist. Denn in einem gebe ich Austin Kleon Recht. Es kommt nicht auf das Substantiv an, sondern auf das Tun. Ich will schreiben, darum geht es. Und wenn ich morgen gärtnern will und übermorgen malen, dann ist das auch okay. Kleon vermutet, dass wir uns dabei oft selbst im Weg stehen. Dass wir unserer Kreativität (und nur darum geht es ja in seinem Buch) selbst im Weg stehen, wenn wir uns zu sehr festlegen auf das, was wir sein wollen, statt einfach zu tun, was wir tun wollen. Und dieser Punkt geht an ihn. Und an andere, die genau das auch sagen. Zuletzt die wunderbare Melanie Raabe in ihrem Buch "Kreativität": wer davon noch nie gehört hat, sollte einfach mal bei meiner Buchhandels- und Bloggerkollegin und Morgenseitenmitschreiberin Pinkfisch nachlesen, denn Sarah hat genau das auch erkannt: Kreativität kann so vieles sein. Schöpferisch tätig sein erschöpft sich eben nicht in nur einer Berufsbezeichnung.

Eins meiner Lieblingsbeispiele ist eine weitere (Blogger)kollegin. Petra van Cronenburg lernte ich als Schriftstellerin kennen, heute steht sie für mich als Frau mit so vielen kreativen Ideen da, dass ich sie in gar keine Schublade stopfen möchte. Petra macht und schöpft und gestaltet, und wird dabei offenbar von so vielen Musen gleichzeitig umgarnt, dass man fast glauben könnte, dass Gott (und die Musen) tatsächlich in Frankreich wohnt.

Und das ist für mich die Essenz, die ich aus Austin Kleons Rat ziehe: Machen, sich nicht freiwilig selbst in eine Schublade legen, kreativ sein, ausprobieren, um des Ausprobierens Willen. Schreiben, malen, töpfern, gärtnern, basteln, musizieren um der Sache Willen, nicht um einem Anspruch auf der Visitenkarte zu genügen. 

Für mich hat das zu der Entscheidung geführt, dass ich meine nächsten Bücher wieder für mich schreibe und erst, wenn sie fertig sind, einem Verlag anbiete. Und zu der Erkenntnis, dass ich auch meiner momentanen Leidenschaft, meinem Garten, nachgehen darf, ohne mich dafür zu geiseln, dass ich gerade mehr gärtnere als schreibe. Ich werde mir deshalb aber auch definitiv keine Visitenkarten drucken, auf denen Gärtnerin steht. Vielleicht will ich ja morgen meine Ideen an Hauswände sprayen, dann bräuchte ich wieder neue Karten.

 

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